Langsam, aber sicher neigt sich unsere Reise wieder ihrem Ausgangspunkt entgegen. Allerdings wäre kaum ein Trip durch den Südwesten komplett, wenn man nicht noch mal in Arizona Halt machen würde - dem Staat, der oft stellvertretend für den US-Südwesten steht. Wir haben Arizona zwar während unserer Zeit in Utah mehrfach gestreift, etwa bei der Fahrt zum Grand Canyon und zum Monument Valley, aber ein längerer Aufenthalt blieb bis jetzt aus. Da der Bundesstaat genau auf dem Weg von New Mexico zurück nach Südkalifornien liegt, nutzen wir die Gelegenheit und besuchen den "Centennial State" - Arizona hat 2012 sein 100-jähriges Bestehen gefeiert - als letzten auf unserer Reise. Der Weg dorthin ist geprägt von viel Leere, unterbrochen durch nicht enden wollende Frachtzüge. Beim längsten zählen wir über 400 Waggons und schätzen die Gesamtlänge auf über 5km - wow!
Oase in der Wüste - Basis in Tucson
Besonders im Süden Arizonas dominiert die Sonora-Wüste und mit ihr grober Sand das Bild. Auch wenn man hier nicht so einsam ist wie im nördlich gelegenen Utah, sind größere Städte doch eher rar. Neben der Hauptstadt Phoenix gibt es an größeren Metropolen nur noch Tucson im Süden. Da die Stadt näher an unserer Route liegt, schlagen wir dort unser Lager auf. Infrastrukturell werden wir nicht enttäuscht, denn die Landschaft ist verhältnismäßig grün, der Sprit mit $3.15 / Galone (~0,75 € / Liter) am günstigsten auf unserer ganzen Reise, genauso wie die Unterkünfte.
Das trifft vor allem auch auf die Casino-Hotels zu. Diese subventionieren oftmals die Raten unter der Annahme, dass die Gäste den Rest beim Zocken schon wieder ausgeben. So kommen wir im Casino del Sol ("The Sol of Tucson") unter. Die recht exklusive 4-Sterne-Anlage bietet alles, was man für einen gehobenen Aufenthalt brauchen könnte. Einen Golfplatz, Außenpoolbereich, Room-Service, Valet-Parking ... aber eben auch ein Casino von beachtlicher Größe. Dieses meiden wir allerdings und wohnen so mit unter 100 € pro Nacht sehr preisgünstig und auf sehr solidem Niveau.
Ebenfalls von Vorteil ist die Mikrolage am südwestlichen Stadtrand. Das Hotel liegt unweit von I-19 und Hwy 86 und ist so sehr gut angebunden, jedoch trotzdem erstaunlich ruhig. Zur Verpflegung hat man eine Reihe von Hotelrestaurants zur Auswahl, aber auch hunderte Optionen bei Lieferdiensten wie Uber Eats. Ein kleiner Supermarkt und eine Tankstelle befinden sich ebenfalls auf dem Gelände, so dass man auf engem Raum alles zur Verfügung hat, ohne wirklich in die Stadt zu müssen, wenn man nicht möchte. Von den oberen Stockwerken aus hat man zudem einen sehr hübschen Blick auf die Hügelketten im Norden. Wenn man die Finger vom einarmigen Banditen lassen kann, ist das Casino del Sol als Hotel eine klare Empfehlung!
Zwischen Zoo und Landschaftspark - Im Sonora Desert Museum
Tucson haben wir allerdings nicht nur aus logistischen Gründen für den Zwischenhalt ausgewählt. Die Region ist auch deswegen interessant, weil sie sich mitten in der Sonora-Wüste befindet. Hier ist es eine Wüste, wie man sie z. B. aus den alten Cartoons wie Roadrunner oder Speedy Gonzales kennt. Viel Sand, immer mal ein Busch oder Tumbleweed, Felsen und vor allem mehrarmige Kakteen. Wie die Comic-Helden auch schon suggerieren, ist zudem die Tierwelt erstaunlich vielfältig, wenn man bedenkt, dass die Umgebung relativ lebensfeindlich ist. Temperaturen weit jenseits der 40° sind auch im Spätsommer Normalität. Einen facettenreichen und kompakten Gesamtüberblick über Flora und Fauna der Sonora-Wüste bekommt man im "Sonora Desert Museum".
Anders als der Name suggeriert, handelt es sich dabei weniger um ein Museum als solches. Es ist mehr eine Mischung aus Tierpark und Landschaftsanlage. Da hier die Wüste sehr anschaulich dargestellt und erklärt wird, ist es schon irgendwie auch ein Museum, aber man sollte nicht mit falschen Erwartungen herkommen. Statt angestaubter Exponate kann man vor allem eine Vielzahl unterschiedlicher Arten bestaunen, welche die Wüste bewohnen, darunter Schwarzbären, Bobcats, Klapperschlangen, Steinböcke und auch einen Berglöwen. Ob und inwieweit die Haltung artgerecht ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Der Schwarzbär hat nicht besonders glücklich ausgesehen. Der Berglöwe hingegen wurde in schlechtem Zustand von Privatgelände geborgen und aufgepäppelt, arme Miez :(.
Aber auch kleinere Tiere wie Otter, Geckos und Streifenhörnchen sind zu sehen. Spannend ist es vor allem, zu beobachten, wie die verschiedenen Tiere auf ihre Art mit der Hitze umgehen. Die Pflanzenwelt wird ebenfalls ausgiebig portraitiert. Neben Palmen und sogar einer Blumenwiese stehen hier natürlich vor allem Kakteen in verschiedensten Formen und Größen im Vordergrund. Besonders hübsch sind die grellen, weichen Blüten, die im starkem Kontrast zu den spitzen Stacheln und dem gesetzten Grün stehen. Ein Ausflug ins Desert Museum vermittelt auf dichte Weise einen guten Querschnitt über Flora und Fauna der Region. Die Tickets sind mit $30 pro Person preislich im Rahmen und der Besuch lohnt sich in jedem Fall. Kopfbedeckung und Sonnenbrille nicht vergessen!
Kakteen, soweit das Auge reicht - Im Saguaro National Park
Wer nun am Kaktus Gefallen gefunden hat, kann sich in unmittelbarer Nähe umfassend mit der Materie befassen. Besonders im Fokus steht dabei der "klassische" Kaktus - bzw. das, was man aus den Medien als solchen kennt - der Saguaro. Dabei handelt es sich um eben jene länglichen, hohen Kakteen mit Armen, die oftmals zum Synonym für die Art an sich geworden sind. Dabei sind sie verhältnismäßig selten, denn die Saguaro-Kakteen kommen in nennenswerter Anzahl nur in einem Gebiet von rund 100 Meilen um Tucson natürlich vor.
Besonders hoch ist die Dichte dieser ikonischen Gewächse im gleichnamigen Nationalpark. Hier kann man die stachelige Pflanze nicht nur in allen Formen sehen, sondern auch hautnah erleben. Es gibt etliche Wanderwege durch den Park, die buchstäblich durch ganze Wälder von Kakteen führen. Hier lernt man auch einige spannende Fakten über die Art Carnegiea gigantea. Sie werden zwischen 100 und 200 Jahre alt, wobei erst die älteren Exemplare Arme ausbilden. Die Stämme sind auch nicht hohl, wie man zur Wasserspeicherung meinen könnte, sondern innen hölzern. Daher wiegen große Exemplare über eine Tonne. Auf unserer kleinen Wanderung entdecken wir auch beeindruckend hohe Exemplare - bis zu 20 m können sie in den Himmel ragen. Bei einem Ausflug zu Fuß sollte man allerdings wachsam bleiben, denn es gibt im Park auch Etliches an "Wildlife" wie giftige Klapperschlangen oder Koyotenrudel.
Die Kakteen spielen in Arizona eine so große Rolle, dass sie sogar auf den Autokennzeichen zu finden sind und die Saguaro-Blüte die offizielle Staatsblume ist. Deswegen, und weil sie eben nur unter recht besonderen Bedingungen wachsen, stehen sie unter strengem Naturschutz. Sie zu beschädigen oder zu fällen wird hart bestraft. Das ist auch gut so, denn einige Gäste ritzen Namen oder das Datum in die Rinde. Sich den Wüstenpflanzen zu dicht zu nähern ist sowieso keine gute Idee, denn die Stacheln können bei Berührung durchaus schmerzhaft sein. Zudem ist zu beachten, dass sich der Nationalpark mitten in der Sonora-Wüste befindet. Dementsprechend ist es nicht nur heiß und sonnig, sondern auch die Infrastruktur eingeschränkt. Daher sollte man auf Kopfbedeckung, luftige Kleidung und Sonnenschutz achten. Zudem ist großzügige Wasserzufuhr buchstäblich essentiell. Ansonsten ist ein Nachmittag hier gut investierte Zeit.
Vom Kalten Krieg zum Warp-Antrieb - Im Titan Missile Museum
Zu welchen Extremen die Entwicklungen des Manhattan-Projekts, mit dem wir uns einige Tage zuvor in Los Alamos beschäftigt hatten, geführt haben, wird eindrücklich im sonst eher unscheinbaren Örtchen Green Valley veranschaulicht. Hier befindet sich eines von vormals über 50 Silos, aus denen im Kalten Krieg atomar bewaffnete Interkontinentalraketen (ICMBs) hätten abgefeuert werden können. Wir besichtigen das "Count Ferdinand von Galen Titan Missile Museum" und nehmen an der Tour teil. Diese besteht aus einem Einführungsfilm, der Führung im Silo und der Besichtigung des kleinen Museums.
Die Erfahrung ist höchst faszinierend, aber gleichwohl auch unglaublich verstörend. Im Museum erfahren wir, dass der Sprengkopf so groß war wie ein Mini-Van und mit 9 Megatonnen die rund 700-fache (!) Sprengkraft der Hiroshima-Bombe hatte. Das ist genug, um eine Fläche von 2.300 km² binnen Sekunden dem Erdboden gleich zu machen. Der kurze Film beschreibt die Titan II völlig zurecht als "Doomsday device with world-ending capabilities". Dies gilt auch deswegen, weil auf den Einsatz wohl unausweichlich ein atomarer Schlagaustausch gefolgt wäre, den die Welt nicht überstanden hätte.
Nach der Einführung steigen wir mit unserem Guide ins Silo hinab und achten dabei peinlich genau auf Klapperschlangen, die gern in der Nähe von Türschwellen ... und Knöcheln Schatten suchen. Unter der Erde besichtigen wir hinter einer drei Tonnen schweren Stahlbetontür zunächst die Crewquartiere und die Kommandozentrale sowie das technische Innenleben des Bunkers (Stabilisatoren, Aufhängung usw.). Als wir dann jedoch im eigentlichen Silo vor der über 30 Meter hohen Rakete stehen und einem klar wird, dass man hier, nur wenige Meter entfernt, eine Massenvernichtungswaffe vor der Nase hat, bekommen die abstrakten Zahlen aus dem Museum auf einmal eine ganz andere Bedeutung.
Das flaue Gefühl in der Magengegend wird noch deutlich schlimmer, als wir im Anschluss in der Kommandozentrale einen echten Raketenstart simulieren. Das Kommando ertönt über die Lautsprecher. Die rote Box mit der Startsequenz wird geöffnet und mit den Befehlen abgeglichen. Dann müssen zwei Schlüssel unabhängig voneinander zur selben Zeit gedreht werden, um die Rakete zu starten. Die Ehre fällt dem "Commander" und dem "Deputy" der Schicht zu. Tatsächlich wurde ich zu letzterem berufen und musste selbst den Schlüssel drehen. Mit dem Gedanken im Hinterkopf "Wenn vor 50 Jahren jemand genau das gleiche getan hätte wie du jetzt in diesem Moment, wäre die Welt mit Sicherheit untergegangen" ein äußerst krasses, hochgradig beklemmendes Gefühl, aber eben auch eine einzigartige Erfahrung.
Deutlich positiver ist hier der Blick nach vorne. Die Anlage diente dem achten Star Trek Film, "First Contact", als Drehort. Hier hat Dr. Zephrame Cochrane das erste warpfähige Raumschiff, die Phoenix, gebaut, um 2063 erstmalig einen Flug mit Überlichtgeschwindigkeit durchzuführen. Dies wurde von den Vulkaniern bemerkt, die daraufhin den ersten Kontakt mit der Menschheit aufgenommen haben. Es begann ein neues Zeitalter des Friedens und des Wohlstandes. Zu wissen, dass die Titan II Inspiration für etwas so Positives war - bzw. sein wird 😉 - nimmt dem Tag ein wenig die Schwere. Oder wie sich der zweite Offizier der Enterprise ausgedrückt hat:
It is an historical irony that Dr. Cochrane would choose an instrument of mass destruction to inaugurate an era of peace.
-- Lt. Cmdr. Data
Abschließend lässt sich noch das Außengelände besichtigen, wo man unter anderem Wachanlagen und das Tankverfahren der Rakete nähergebracht bekommt. Das Titan II Missile Museum ist eine in Teilen tief bizarre, aber auch hochgradig lohnende Erfahrung. Ein absoluter Geheimtipp, wenn man sich für Technik, Militär und/oder Geschichte interessiert. Zu beachten ist, dass man online vorab eine Zeit buchen muss. Eintrittspreise gehen für das Gebotene mit rund 15€ pro Erwachsenem schwer in Ordnung. Für den Gesamtaufenthalt kann man etwa 2 Stunden einplanen.
Lokalpatriotismus am anderen Ende der Welt - In Sierra Vista
Nicht allzu weit von Tucson und nur 10 Meilen nördlich der mexikanischen Grenze befindet sich die kleine Stadt Sierra Vista. An und für sich wäre sie nicht groß erwähnenswert. Allerdings ist sie seit 1998 eine der Partnerstädte unserer Heimatstadt. Für uns Grund genug, Sierra Vista einen kleinen Besuch abzustatten. Mit rund 45.000 Einwohnern ist sie ähnlich groß wie Radebeul und die größte Stadt in Cochise County. Die drei Highschools unterhalten jährliche Schüleraustausche mit den Radebeuler Gymnasien. Mit im Bunde ist hier auch eine weitere Partnerstadt - Cananea in Mexiko, ca. eine Stunde südlich von Sierra Vista.
Wir brechen von Tucson aus auf, um ein kleines Zeichen für die Völkerverständigung zu setzen, und fahren ca. 130 km Richtung Südosten. Nach rund anderthalb Stunden erreichen wir das Stadtzentrum und schauen uns um. Als kleinen Gruß an die Stadt suchen wir das Rathaus, die City Hall, auf und schießen 1-2 Fotos. An der Polizeiwache nebenan wird noch nach neuen Officern gesucht. Für $38.000 im Jahr das Leben zu riskieren, schien uns dann aber doch nicht so attraktiv. Nachdem uns zudem handtellergroße, schwarze Hornissen begegnet sind, treten wir langsam den Rückzug an.
Wie in amerikanischen Kleinstädten üblich, findet das meiste Leben entweder in der Main Street statt - oder in Ermangelung dieser in der Mall. So ist es auch in Sierra Vista, wo wir uns - wie viele der Locals auch - in der Nähe des Einkaufszentrums im edelsten Restaurant niederlassen: Applebee's :D. Eigentlich wollten wir "The German Café" aufsuchen, denn in Sierra Vista gibt es eine große deutsche Gemeinde. Leider war Montag Ruhetag. So begnügen wir uns mit der Kette gewordenen, kulinarischen Mittelmäßigkeit. Fairerweise muss man sagen, dass Sierra Vista ohne den partnerschaftlichen Bezug eher langweilig ist, aber für die Städtefreundschaft - und auch aus einer gewissen Neugier heraus - haben wir den Weg gern auf uns genommen.
Würdiger Abschluss im heißen Sand - Arizona- & Roadtrip-Fazit
Der sechste und letzte Bundesstaat auf unserem Streifzug durch den Südwesten der USA war ein angemessenes Finale. Unser Aufenthalt war vor allem geprägt von der Wüste in all ihren Facetten. Eine unerbittliche Sonne und Temperaturen von ~45° C in Spitze sind tagsüber auch im September noch an der Tagesordnung. Das wiederum resultiert aber in einer einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt, die es zu erkunden lohnt. Besonders der Saguaro-Kaktus ist hier der Star in der Manege. Aber auch die menschengemachten Sehenswürdigkeiten am Wegesrand können tief beeindruckend sein, etwa das Titan Missile Museum.
Der Staat ist also weit mehr als nur der weltbekannte Grand Canyon im Norden. Wir hatten eine tolle, letzte Station vor unserer Rückreise nach Kalifornien und können einen Ausflug nach Arizona ebenfalls sehr empfehlen - sofern man mit trockener Hitze klarkommt. Mit dem Überqueren der Staatsgrenze nähern wir uns auch insgesamt dem Ende unserer Reise. Wir blicken zurück auf vier extrem abwechslungsreiche Wochen in den USA und 5.000 Meilen mit unserem treuen Dodge Charger.
Es war ein atemberaubender Roadtrip, der auch für uns Maßstäbe gesetzt hat. So lange am Stück ein Land erfahren zu können war eine besondere Gelegenheit, auf die wir - auch über ein Jahr später - noch gern zurückblicken. Wir schließen damit auch die offizielle Artikelserie zum US-Südwesten im Rahmen von #OTRAmerika22. Ein kleines Special werden wir im Laufe des nächsten Jahres noch veröffentlichen. Bis dahin hoffen wir, dass wir euch ein bisschen für die Reiseplanung 2024 inspirieren konnten.
Bis dahin wünschen wir allen Leserinnen und Lesern eine frohe Weihnachtszeit und ein entspanntes Fest im Kreise der Familie! Zudem allen, die reisen müssen, einen sicheren und komplikationsfreien Trip :).