Das Konzept Blind Booking
Jedes Jahr, so im Spätherbst, stellt sich für die meisten die Frage "Hmmm, was machen wir eigentlich Silvester?" Aus dem Alter mit den krassen Partys sind wir raus, aber klassisches Feuerwerk gucken und mit Sekt anstoßen ist dann doch noch ein Bisschen zu langweilig. Warum eigentlich nicht mal wegfahren? Klar, aber wohin? Vieles ist ja schon ausgebucht und der Rest meist teuer.
Außerdem muss man ja erst wieder Varianten recherchieren, Optionen checken und sich vor allem letztlich entscheiden wo es hingehen soll. Oder muss man das nicht? Bei einer zufälligen Recherche stolpern wir im Herbst bei den Urlaubspiraten über ein sogenanntes "Blind Booking". Der Reiz an der Sache ist folgender: man hat zwar eine grobe Auswahl für eine Handvoll Destinationen, kennt aber bei Buchung weder das Ziel noch die Herberge.
In unserem Fall sind unter den fünf möglichen Städten London, Barcelona, Rom, Lissabon und Riga. Auch ein zentrumsnahes Hotel mit mindestens 80% Weiterempfehlungsrate werden zugesichert. Im Prinzip witzig - uns packt die Abenteuerlust und wir greifen zu!
Einige Tage später bekommen wir die Reiseunterlagen per E-Mail und in dieser den Hinweis, dass man die Reiseunterlagen bis kurz vor Antritt nicht öffnen muss, wenn man die Spannung erhalten möchte. Wir riskieren einen Blick und stellen fest: das Jahr 2016 beginnt für uns in der lettischen Hauptstadt Riga.
Keine Hassliebe, aber Hass mit etwas Respekt - Anreise mit Ryanair
Fairerweise wird direkt in der Beschreibung davor gewarnt, dass der Flug von easyJet oder Ryanair durchgeführt wird. Reisetechnisch also die vielzitierte Wahl zwischen Pest und Cholera. Aber gut, das gehört halt in diesem Fall zum Abenteuer. Uns ereilt der Flug RYR2600 - mit dem irischen Billigflieger Ryanair.
Zugegeben, die Flüge sind günstig, aber es wird auch schnell klar warum. Ryanair optimiert gnadenlos jeden Prozess hinsichtlich der Kosten. In der Praxis bedeutet das für den Flugpassagier, das alles was nicht in Ryanairs Vorstellung eines schlanken Buchungs- und Checkinprozesses passt, hoch bepreist wird. Keine Bordkarte dabei? Macht 70€. Nicht eingecheckt? Macht 50€. Dein Handgepäck ist 2cm zu breit? Und nochmal 130€ bitte. Spätestens dann hätte man auch locker mit der Lufthansa fliegen können ... und sollen!
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist dieses Vorgehen durchaus nachvollziehbar. Ryanair will den Kunden so erziehen, dass möglichst wenig Kosten für Personal und Infrastruktur entstehen. Aus Kundensicht jedoch verkauft man hier mit dem günstigen Ticket sein Recht auf Service und auch ein Bisschen seiner Würde. Man hat nicht das Gefühl, beim Personal willkommen zu sein. Im Gegenteil - die Mitarbeiter von Ryanair sind wie Geier, die über einem kreisen und mit Argusaugen schauen wo man den Passagieren ja noch ein paar Euro aus den Taschen leiern kann. Widerlich.
Nicht nur am Personal wird gespart sondern auch an der Sicherheit. Da Gangways ja Zeit und Geld kosten, verwendet Ryanair eher sowas wie eine Nottreppe, die schmal und steil ist. Gerade wenn es regnet oder schneit kann man hier schnell ausrutschen und sich was brechen. Das kommt wohl auch mit Regelmäßigkeit vor.
Die Erfahrung im Flugzeug ist nicht viel besser. Schon allein die grauenhafte gelb-lila Farbkombination verhindert jedes mögliche Gefühl von Entspannung. Aber auch das ist natürlich gewollt, man soll sich möglichst so unwohl fühlen, dass man schnell den Flieger wieder räumt. Zudem ist es dreckig. Saubergemacht wird scheinmal nur einmal am Tag. Sicherheitskarten gibt es nur als Bemalung des Vordersitzes, Kotztüten wenn überhaupt dann nur auf Nachfrage. Anstatt, wie etwa bei AirBerlin oder KLM Getränke zu verteilen, verkaufen die Stewarts hier ominöse Rubbellose - für 10€ pro Stück.
Eines allerdings muss man Ryanair wirklich lassen: die Effizienzoptimierung heißt auch dass die Standzeiten der Flugzeuge so gering wie möglich gehalten werden - und das geht nur wenn das Gepäck schnell ausgeladen ist. Ja, da sind sie wirklich flink. Kaum mehr als 5 Minuten nach Offboarding läuft das Band an. Ob man sich allerdings deswegen bzw. wegen der gesparten 20€ insgesamt diesen Knauserzirkus antun muss darf schwer bezweifelt werden. Für uns kommt es jedenfalls nur unter Zwang in Frage.
Der Silvesterabend in Riga
Wir kommen dennoch sicher an in Riga und es ist ... kalt. Nun mag das nicht verwundern, dass es Ende Dezember kalt ist in Lettland, allerdings - und so bestätigten uns das auch die davon weniger beeindruckten Einheimischen, war es dieser Tage doch extrem. Die Temperaturen bewegten sich zwischen -15 und -20°C und das aufgrund der Ostseenähe bei feuchter Meeresluft. Brrrrr. Bloß gut dass wir vorher nochmal dicke Klamotten shoppen waren - die sind bitter nötig.
Zunächst geht es mit dem Taxi vom Flughafen in die City. Die ca. 15 minütige Fahrt kostet uns etwa schmale 10€. Das Ziel ist zunächst unsere Unterkunft - das Rixwell Terrace Design Hotel. In der Tat ist die Lage ziemlich gut, bis in die Altstadt läuft man ca. eine viertel Stunde, größtenteils durch einen hübschen Park. Das Hotel an sich - oder zumindest unser Zimmer - waren ebenfalls eher abenteuerlich als designt, doch die Story könnt ihr hier auf Tripadvisor lesen :).
Den eigentlichen Abend verbringen wir in einer der Top Adressen der Stadt - dem International SV Restaurant - in dem wir im Vorfeld das 7-Gänge Silvestermenü gebucht hatten. Das Personal war von der ersten Minute an extrem bemüht jedem Gast einen rundum gelungenen Abend zu bereiten. Dies begann für uns schon mit der Tischdeko. Unser eigenes Separee war bereits mit Sekt, Süßigkeiten, Tischfeuerwerk, Wunderkerzen - und anderem mehr, was man für eine ordentliche Silvesterfeier braucht - ausgestattet.
Das Essen selber ist genial. Von mehreren Vorspeisen wie hausgemachtem Tartar über die Hauptgerichte, u.a. genialer Heilbutt und zartestes Lamm bis hin zu einem der schokoladigsten Schokokuchen, die man sich so vorstellen kann, ist jeder der sieben Gänge ein Highlight für sich. Abgerundet wird das gute Essen vom perfekten Service des Personals. Jeder Wunsch wird von den Augen abgelesen, jeder Handgriff, den der Gast machen müsste ist einer zuviel. Mein Versuch mir selber Wein nachzuschenken wurde mit den Worten, dass ich keinen einzigen Finger krum machen müsse und dass sich das Personal gerne um alles kümmert um uns einen perfekten Abend zu bereiten jäh beendet - Wahnsinn!
Kurz vor Mitternacht hat das Restaurant dann einen Transfer zum Schwesterlokal "Melnā Bite" in der Innenstadt organisiert, wo abermals ein kleiner Sektempfang auf uns wartete. Nach diesem tanken wir noch ein Wenig bitter notwendige Wärme und begeben uns vor die Tür um uns dem dortigen Menschenstrom anzuschließen. Die bunte und gut gelaunte Masse führt uns an die unweit gelegenen Ufer des Flusses Daugava, der perfekten Kulisse für das Feuerwerk.
Die Stimmung ist entspannt und fröhlich, was in erster Linie auch daran liegt, dass sich alle am großen Feuerwerk der Stadt erfreuen anstatt dass jeder selber eines veranstaltet und einem möglicherweise noch Böller vor die Füße fliegen. Die Rigaer und ihre Gäste feiern ausgelassen und begrüßen das neue Jahr - aufgrund der Zeitzone eine Stunde eher als man es in Deutschland tut.
Die Stimmung setzt sich bei einem Straßenfest fort, das der Stadtrat organisiert hat. Die "11. Novembra Krastmala" wurde abgesperrt und mit Fressbuden, Glühweinständen und vor allem einer großen Bühne. Wie sich schnell rausstellt, besteht das Rahmenprogramm in erster Linie aus der (wie sie sagen) besten Queen-Coverband Europas - "Killer Queen".
Natürlich treten die Jungs hier in große Fußstapfen und Freddy ist einfach nicht zu ersetzen. Dennoch wirkt der Auftritt sehr authentisch und verbreitet ungeachtet der eisigen Kälte rundum gute Laune, auch wenn die Band trotz eines Dutzend Heizstrahlen auf der Bühne immer wieder zum Aufwärmen unterbrechen müssen. "It's a hard life" ;).
Wir genießen das Konzert trotzdem die lebensfeindlichen Temperaturen langsam anfangen uns in jede Kleidungsritze zu kriechen und unmissverständlich darauf hinweisen, dass nach 2-3 Stunden draußen dringend die Nähe einer Heizung geboten ist ... oder die des warmen Hotelbettes in das wir uns nach diesem unvergesslich-gelungenen Silvesterabend begeben.
Laimigu Jauno 2016. Gadu!
Das Überraschungssilvester - ein Fazit
Für uns war die Reise (oder zumindest das Buchen) ins Ungewisse eine witzige Erfahrung. Da wir in Rom, Barcelona und Lissabon bereits waren und das Baltikum für uns auch noch unbekannt ist war die Wahl quasi perfekt. Die Anreise mit einer Billigairline muss man wohl in Kauf nehmen, damit sich für die Geschichte an Silvester für den Anbieter rechnet.
Für uns war es unterm Strich eine wunderbare und unvergessliche Erfahrung - natürlich auch in Verbindung mit dem traumhaften Essen im International SV. Wer auf Überraschungen steht und mit dem einen oder anderen Kompromiss leben kann, für den wird ein Blind Booking eine spannende Erfahrung sein!
Das Konzept taugt natürlich auch bestens, um unbekannte Städte und Regionen besser kennenzulernen. Auch das ist Bestandteils unseres Plans. Wäre ja schade, wenn man Riga nur im Dunkeln gesehen hätte ;). Unsere Eindrücke von der Altstadt und ein paar schicke Fotos präsentieren wir euch im nächsten Artikel. Stay Tuned :).