"You have to die a few times before you can really live." - Charles Bukowski
Mama mia! Was für eine Fahrt mit dem "alten Modell"! Noch einmal wollten wir den Gallardo fahren und Abschied vom längst durch den Huracán ersetzten und wahrhaft fabelhaften "Einstiegslambo" nehmen.
Obgleich bereits in die Jahre gekommen, katapultiert der Lamborghini Gallardo LP 560-4 Spyder seine Passagiere innerhalb von 4,0 Sekunden auf Landstraßentempo und beschleunigt aus offenen Klappen schreiend auf Nachfrage weiter auf bis zu 324 km/h Höchstgeschwindigkeit.
Wofür steht eigentlich LP 560-4 Spyder?
LP steht hierbei für "longitudinale posteriore", bedeutet sinngemäß "hinten längs" und deutet auf den Einbau des Motors hin. Der sitzt bekanntlich hinter dem Fahrer und ist längs eingebaut. Die 560 sind selbstverständlich die verstauten Pferdchen, von allen vier (-4) Rädern angetrieben. Wir fahren ihn als Spyder, also mit verstaubarem Dach.
Und wie fährt er sich nun?
Auf unter drei Kilogramm pro PS Leistungsgewicht bringt es der Gallardo. Bereits ab 3500 U/min kommt Rennatmosphäre auf und nur einen Wimpernschlag später verlangt der jetzt über 8000 U/min drehende 5,2 Liter V10-Sauger nach der zweiten Welle. Während des Schaltvorgangs unter Volllast, der im schnellsten Modus bereits nach 15 Millisekunden abgeschlossen ist, wird der Vorderwagen allerdings so stark entlastet, dass der Fahrer trotz des Allradantriebs stets beide Hände am Lenkrad halten und alle Sinne auf "scharf" schalten sollte. Gerade fernab der Rennstrecke, zum Beispiel auf engen, alpinen Landstraßen, kann der entsprechende Versatz schnell zum Problem werden.
Erst nach dem Einlegen des dritten Gangs des automatisierten Schaltgetriebes "e-gear" erreicht der Wagen die nötige Stabilität, um auch Kurven ohne chirugische Korrektur mithilfe des Gaspedals eilig zu durchfahren. In engen Kurven entwickelt sich nach dem Einlenkpunkt eine leichte Tendenz zum Untersteuern, die sich im Grenzbereich weiter verschlimmert und auch mit dem Messer zwischen den Zähnen unweigerlich in zunehmenden Gripverlust der Vorderachse mündet.
Unser Tipp: Enge Kurven mit etwas Reifenquietschen anfahren, früh wieder aufs Gas und ab dem Scheitelpunkt den Kickdown-Knopf ruhig tief durchdrücken.
Der Gallardo belohnt den mutigen Fahrer mit einem kleinen Drift, atemberaubendem Geschrei und anschließend schier unendlicher Traktion auf dem Weg zur nächsten Kurve. Bei den unteren beiden Gängen und dem Schalten vor dem Kurvenausgang aber unbedingt den verstärken Drift einkalkulieren!
Wählt man den Fahrmodus "Corsa", den schärfsten aller Modi, sind die Auspuffklappen bereits ab Standgas geöffnet und das ESP um einiges frequenzloser eingestellt, sodass der Stier noch etwas ungehaltener wird.
Im Vergleich zu älteren Modelljahren kamen 0,2 Liter Hubraum und 40 PS hinzu. Um 20 Kilogramm wurde der Gallardo ab 2009 erleichtert. Ebenso spart die jüngste Version 18% Kohlenstoffdioxid ein - das wird jedoch sicherlich keinen Umweltschützer ruhiger schlafen lassen.
Angegeben ist der Gallardo in dieser Version mit 13,8 Litern/100km im Drittelmix - unser Testverbrauch lag bei etwa 38 Litern/100km.
Ist der Gallardo im Alltag praktikabel?
Im Alltag lässt sich der Gallardo mit nur wenigen Einschränkungen problemlos bewegen. Ein bisschen gewöhnungsbedürftig ist es, eine Position für seine Beine zu finden. Das linke Bein kann nirgends abgestellt werden, das rechte berührt ständig den unteren Bereich des Lenkrads. Es kommt außerdem immer wieder vor, dass Fahrspuren zu schmal sind. Manchmal flucht man über den Wendekreis und sollte der Fahrer über 180 cm groß sein, bekommt er üblicherweise das Verdeck direkt auf den Hinterkopf gedrückt.
Wie viel Temperament steckt noch im kleinsten Lamborghini?
Seit Audi bzw. die Volkswagen AG bei Lamborghini den Ton angibt, hat sich einiges verändert. Wir müssen euch enttäuschen: beim Kaltstart kommen weder aus der Abgasanlage noch anderen, unerwarteten Stellen Flammen empor. Das Verdeck schließt mithilfe von hydraulischen Zylindern und einem Elektromotor in nur 20 Sekunden - mit deutscher Präzision.
Lässt man die letzten 5% des Grenzbereiches außen hervor, ist der Gallardo wirklich einfach zu fahren. An einem schönen Sonntagnachmittag verwischen die Grenzen der Wirklichkeit gern einmal mit dem Ortsausgangsschild und die einsamen Pässe dieser Welt werden zum Einzigen, was wirklich zählt - ohne die Gewissheit, dass der Stier ständig versucht, den Fahrer aus dem Sattel zu werfen.
Emotionslos und langweilig?
Keineswegs! Das mittlerweile ziemlich in die Jahre gekommene automatisierte 6-Gang e-gear Getriebe verpasst den Insassen jedes Mal einen Schlag in den Rücken, der Sound führt im Tunnel schnell zu Tinitus - man könnte sich kaum verbundener zum "Hier und Jetzt" fühlen und genießt jede Kurve, die man mit dem Gallardo (Verzögerungswert warm: bis zu 11,8 m/s²) brutal hart anfahren kann. Etwas traurig ist es allerdings, dass der Lamborghini in weiten Teilen so gut kontrollierbar bleibt, was die durchschnittliche Käuferschicht sicher sehr begrüßt. Es mangelt aber nach dem ersten Kennenlernen an der Angst, die Kontrolle verlieren zu können.
Allerdings nicht in unserem Test.
Was ist passiert?
Nach bereits etwa 75km mussten wir unseren Test leider abbrechen. Die Bremsanlage des Gallardos ist komplett ausgefallen, es blieb einzig die manuelle Handbremse bzw. der Widerstand der Schubschaltung, welcher Dank des e-gear Getriebes stark ausgeprägt ist, um den Gallardo zu stoppen. Durch viel Glück gab es zu dieser Zeit keinen Gegenverkehr und die gesamte Fahrbahnfläche konnte genutzt werden. Wenige Kurven später stand der Lamborghini - der Schaden am Bremssystem allerdings fatal. Alle Beteiligten sind mit einem Schrecken davongekommen.
Wie kann es dazu kommen?
Wir haben nur eine These. Lamborghini war leider nicht bereit, unsere Fragen zu beantworten. Nach dem Zwischenfall fanden wir den Behälter für Bremsflüssigkeit komplett leer vor. Wahrscheinlich war die Temperatur des Bremsfluids so hoch, dass die sogenannte "Dampfblasenbildung" einsetzte - also eine Überschreitung des Siedepunkts des Fluids. Die Blasen konnten aufgrund des leeren Behälters nicht mehr mit Bremsflüssgkeit ersetzt werden und das Bremspedal konnte folglich ohne merklichen Widerstand den gesamten Pedalweg betätigt werden. Dadurch ist es nicht mehr möglich, überhaupt Bremswirkung zu erzielen - man "pumpt Luft".
Aber seht selbst! Wir haben die Fahrt für euch mit diesem Video zusammengefasst: