Bis hinter die Rocky Mountains hatten wir uns auf unserer Reise durch den Südwesten inzwischen vorgearbeitet. Da San Diego nicht nur der Ausgangsort, sondern auch der Zielort unserer Reise sein würde, mussten wir den Bogen irgendwann wieder in Richtung Süden holen. Auch wenn es uns etwas schwer gefallen ist, uns von Colorado zu verabschieden, tun wir genau das. Ein Blick auf die Karte verrät: Südlich von Colorado befindet sich New Mexico. Wir brechen auf ins "Land of Enchantment" und beobachten auf der Fahrt, wie das sanfte Grün der Rockies wieder dem Beige, Braun und Rot weicht, welches wir aus Utah und Arizona schon so gut kennen.
Kunst, Kultur und Casinos - In der Hauptstadt Santa Fe
Unser Lager schlagen wir im Buffalo Thunder Hilton auf. Die beeindruckende Anlage beherbergt nicht nur ein Vier-Sterne-Hotel mit allen Annehmlichkeiten, sondern auch eines der zahlreichen Casinos der Region. Hier betreiben für gewöhnlich Natives Glücksspiel in allen Facetten, welches aber, anders als z. B. in Las Vegas, nicht staatlich kontrolliert wird. In einem solchen Casino zu zocken, sollte man sich also überlegen, und diesen Vibe verströmt es auch. Das tut dem aber auch sonst sehr spannenden Komplex keinen Abbruch. Das gilt nicht nur deswegen, weil er riesig ist, sondern auch wegen seiner zusammenhängenden "Adobe"-Architektur. Die Häuser aus den charakteristischen, luftgetrockneten Lehmziegeln sind typisch für die Region.
Dieser Anblick prägt auch stark das Bild im Zentrum von Santa Fe. Die Stadt bekommt somit einen unverkennbaren Look, welcher in der Form und Dichte in den USA kein zweites Mal zu finden ist. Wir erkunden die Altstadt bei einem Spaziergang und starten am zentralen Platz, der Plaza. Im Umkreis kann man tatsächlich allerlei spannende, architektonische Besonderheiten entdecken. So ist das Seitengebäude der gotischen Church of Antioch im krassen Kontrast zu ihr im glatten Adobe-Stil errichtet. Um die Ecke, in der De Vargas Street, kann man mit dem "Oldest House" eines der ältesten Gebäude der USA bestaunen, immerhin aus dem frühen 17. Jahrhundert. Selbst das City-Parkhaus ist liebevoll im Adobe-Stil gehalten und sieht kaum weniger schick aus als das Kunstmuseum. Auch wenn man in anderen Gegenden New Mexicos immer mal ein solches Haus findet, so viel zusammenhängende Bausubstanz ist einzigartig.
Aber nicht nur bei Architektur-Interessierten ist Santa Fe beliebt. Die entspannte und liberale Atmosphäre zieht auch Aussteiger, Glücksritter und Künstler an. Das wird besonders in der Canyon Road deutlich. Hier wechseln sich nette, kleine Läden mit Kunstgalerien ab. Ob und inwiefern diese tatsächlicher Gewinnabsicht oder mehr der Selbstverwirklichung dienen, ist sicher individuell verschieden. In jedem Fall aber sind sie sehr hübsch anzusehen, denn etliche der Galerien stellen öffentlich Skulpturen, Gemälde und andere Kunstwerke aus. Die Canyon Road zu Fuß zu erkunden kann sich also durchaus lohnen.
Ebenfalls zu erkunden lohnt sich die lokale Küche. In New Mexico sind die kulinarischen Einflüsse des "richtigen" Mexikos natürlich noch deutlich größer als in Südkalifornien. Dass das sicher kein Nachteil ist, zeigen zwei unserer Restaurantbesuche. Beim Frühstück im Plaza Café genießen wir einen Breakfast Burrito, Homemade Tacos und einen dekadenten Pie zum Nachtisch - sehr lecker, aber auch noch recht amerikanisch. Wer es noch authentischer möchte, dem sei El Callejón Taqueria & Grill ans Herz gelegt. In der auf den ersten Blick wie eine random Sportkneipe anmutenden Bar gibt es mexikanische Küche vom Profi und das schmeckt man. Besonders empfohlen seien die hausgemachten Jalapeño Poppers und die Taco-Selection. Geprägt ist all das im Übrigen von Chilli-Produkten aller Couleur. Die scharfe Schote ist in New Mexico so beliebt, dass sie auf den Eingangsschildern des Staates abgebildet ist und sogar bei vielen Autos die Nummernschilder ziert. Zudem hängen Chillibündel als Glücksymbol an etlichen Türen. Leute, die es, wie wir, eher "spicy" mögen, kommen hier voll auf ihre Kosten!
Neben den Restaurants gibt es zudem auch etliche Museen, Kulturzentren, Kongresse und anderes mehr, was einen in die Stadt locken könnte. Ein Besuch in der Hauptstadt New Mexicos ist schon deswegen empfehlenswert, weil die Stadt wirklich unverwechselbar aussieht. Dass sie auch durch gehobene Hotels und kulturelle Hotspots eine gewisse Exklusivität vermittelt, schmälert weder die Atmosphäre noch unsere Besuchsempfehlung.
Oppenheimer auf der Spur, bevor es cool war 😉 - In Los Alamos
Rund 25 Meilen nordwestlich von Santa Fe liegt ein kleines, eigentlich eher unscheinbares Örtchen. Historisch Kundigen - oder denen, die inzwischen den Nolan-Streifen "Oppenheimer" im Kino gesehen haben - wird aber schnell klar sein, warum wir die Kleinstadt aufsuchen. Wir fahren nach Los Alamos, dem Geburtsort der Atombombe. Nach dringenden Apellen des deutschen Physikers Albert Einstein hat der amerikanische Präsident Roosevelt Ende der 30er Jahre ein Programm zur Erforschung von Nuklearwaffen ins Leben gerufen - das Manhattan Project. Nach der Konstituierung ebenda fand das Unternehmen in der Abgeschiedenheit der Wüste New Mexicos seine Heimat.
Auf eindringliche Weise beschäftigt sich mit dessen Geschichte das Bradbury Science Museum. Obwohl es nicht riesig ist, sind die Eindrücke sehr dicht und in Teilen auch beklemmend. So steht man vor lebensgroßen Replikas von Little Boy und Fat Man, den Bomben, die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Auch echtes Trinitit, eine glasige Verbindung, welche bei Atomtests entstanden ist, und Facetten der Kriegsführung - etwa Flugblätter, die Japaner zur Evakuierung auffordern - sind zu sehen. Aber auch in anderen Bereichen abseits der Erforschung von Nuklearwaffen sind die hiesigen Forschungseinrichtungen heute führend. So beschäftigt sich das Museum etwa auch mit Fortschritten in der Rechentechnik oder Nanotechnologie. Der Besuch des Museums ist in Los Alamos Pflicht, zumal der Eintritt kostenlos ist.
In das Leben und den Alltag der Forscher und des militärischen Personals um Dr. Robert Oppenheimer und General Leslie Groves kann man entlang der "Bathtub Row" noch tiefer eintauchen. Hier lassen sich die Häuser der Leiter des Projekts besichtigen. Die Straße hat ihren Namen daher, dass bei Errichtung der Basis nur auf wenige, bereits bestehende Häuser zurückgegriffen werden konnte. Da diese vergleichsweise luxuriös ausgestattet waren, eben unter anderem mit Badewannen, wurde hier das Führungspersonal einquartiert. Die einfachen Soldaten und Angestellten hingegen mussten lange Zeit in eilig zusammengezimmerten, barackenartigen Unterkünften mit sehr einfachem Standard leben.
Auch ein Spaziergang mit offenen Augen in der Stadt als solcher ist sehr interessant. An vielen Stellen lässt sich noch erahnen, dass sie jahrelang ausschließlich aus der streng geheimen Forschungseinrichtung bestand und der Öffentlichkeit verborgen bleiben sollte. So gibt es überall noch spannende Relikte zu entdecken. Weitere Museen und Kultureinrichtungen wie das Los Alamos History Museum sorgen dafür, dass man sich ohne Probleme einen kompletten Tag in der Stadt aufhalten kann. Die Materie ist hochspannend, auch wenn sie doch ein fades Gefühl in der Magengegend hinterlässt.
So kann der Nachthimmel aussehen? - Stargazing bei Las Cruces
Deutlich weiter südlich, nur rund 50 Kilometer von der Grenze zu Mexiko entfernt, liegt die Stadt Las Cruces. Hier bleiben wir eine weitere Nacht mit dem erstaunlich schicken Courtyard by Marriott als Basis. Die Stadt ist zwar mit rund 110.000 Einwohnern relativ groß, bietet an sich jedoch nichts von überregionaler Bedeutung. Ausnahme scheint hier noch das College-Football-Team zu sein, welches national recht erfolgreich ist - Go Aggies! Ansonsten hat der Aufenthalt rein logistischen Hintergrund. Vom nahegelegenen El Paso in Texas abgesehen, ist Las Cruces auch die einzige größere Stadt im sonst sehr dünn besiedelten Umland.
Hier kann man allerdings aus der Not eine Tugend machen, denn wo wenig Infrastruktur ist, ist auch wenig Licht. Wir machen uns den Neumond zu Nutze und ermitteln mit Hilfe von DarkSiteFinder.com, dass die Lichtverschmutzung westlich von Las Cruces äußerst gering ist. Nachdem wir uns bei Whataburger gestärkt und den Einbruch der Dunkelheit abgewartet haben, begeben wir uns über die I-10 rund 50 km nach Westen, möglichst weit weg von den Lichtern der Stadt. Ab da schlagen wir uns noch einige Kilometer Richtung Süden über Feldwege in die Wüste durch, um auch die Interstate nicht mehr auf dem Foto zu haben. Das Ergebnis ist fast schon surreal. Einfach mal eine Viertelstunde auf dem Wüstenboden zu liegen und in den Himmel zu starren, wird so zum ungeahnten Erlebnis. Mit jedem Augenblick sieht man mehr und mehr Sterne aufblinken, bis der ganze Himmel tanzt und glitzert und man mit bloßem Auge die Milchstraße erkennt.
Was für ein Anblick! Nachdem sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, nutzen wir die Gelegenheit natürlich, um die Sterne nicht nur zu bestaunen, sondern auch bestmöglich mit der Kamera einzufangen. Die Bedingungen sind in dieser Nacht dafür sehr dankbar. Kaum bewölkt, kein Mond und super Wetter. Entstanden sind dabei herausragende Aufnahmen der Milchstraße. Auch der Charger wurde angemessen in Szene gesetzt, hatte er sich doch schon wieder durchs Gelände quälen müssen. Zu beachten ist allerdings, dass Ausflüge allein in die Wüste vor allem nachts auch nicht ganz ungefährlich sind. Von aufgebrachten Ranchern mit Schrotflinten werden wir zwar verschont, aber dafür macht nach einiger Zeit das Wildlife auf sich aufmerksam. Mäuse und kleinen Schlangen sind ja noch ganz lustig. Aber als sich langsam, aber sicher deutlich hörbar ein Rudel Kojoten oder möglicherweise sogar Hyänen nähert und sich mit Gebell und Gekicher ankündigt, treten wir äußerst zügig den taktischen Rückzug an.
Nichtsdestoweniger ist der Sternenhimmel in New Mexico ein Erlebnis, welches man sich keinesfalls entgehen lassen sollte. Etwas Vergleichbares im dicht besiedelten Europa zu finden ist erfahrungsgemäß sehr schwer. Auch ohne Interesse an der Fotografie ist es ein Erlebnis fürs Leben, einmal SO viele Sterne auf einmal zu sehen. Man bekommt ein völlig neues Verständnis des Nachthimmels. Wahnsinn!
Der größte Sandkasten New Mexicos? - Im White Sands National Park
Nicht nur die relative Abgeschiedenheit macht den Großraum rund um Las Cruces zu einem erstrebenswerten Ausflugsziel. Die Natur kann sich ebenfalls sehen lassen. Die größte Attraktion ist zweifelsfrei der White Sands National Park. Auf dem Weg dorthin ereilt uns eine Kontrolle der Grenzschutzeinheit Customs and Border Protection (CBP). Nach einigem Hin und Her können wir versichern, dass wir keine illegalen Immigranten im Kofferraum haben, und man lässt uns zum Park passieren. Eintritt bezahlen wir nicht, da unser "America The Beautiful"-Pass den Besuch deckt. Wir besichtigen zunächst das kleine Besucherzentrum am Eingang, welches sich mit der Entstehung der Landschaft befasst.
Dabei lernen wir, dass das 700 km² große Gelände ursprünglich der Grund eines Meeres war. An diesem hat sich der weiße Gipssand als Sediment abgesetzt. Als sich vor rund 70 Millionen Jahren die Rocky Mountains geformt haben, wurde der Meeresgrund zu einer Ebene aufgeschoben, die durchgängig von weißem Sand bedeckt ist. Wir folgen der Straße in den Park, deren Belag schnell von Asphalt zu festgefahrenem Gips wechselt. Links und rechts türmen sich weiße Dünen auf, die bald in weiße Wüstenlandschaften übergehen, so weit das Auge reicht. Ein beeindruckendes Schauspiel.
Die Landschaft sieht aber nicht nur genial aus, sie lässt sich auch hautnah erleben. Man darf nach Herzenslust die Dünen bewandern und sich frei im Sandmeer bewegen. Schon ein paar Sandberge vom Parkplatz weg fühlt man sich dabei gänzlich allein und von der Zivilisation abgeschnitten. Es ist einfach nur noch alles weiß, ein befremdliches, aber auch spannendes Gefühl. Man sollte allerdings darauf achten, hier nicht den Weg zurück zu vergessen, denn die Orientierung kann schnell schwerfallen.
Davon abgesehen, kann man sich nach Herzenslust austoben, wie in einem gigantischen Sandkasten. Viele Kinder haben Spielzeug dabei, graben Löcher und bauen Burgen. Andere rutschen mit Schlitten die Dünen herunter - oder einfach auf dem Hosenboden. Etwas größere Kinder rutschen möglicherweise mit etwas größeren Schlitten auf dem losen Belag der großzügigen Parkplätze umher =). Reine Naturfreunde können querfeldein wandern. Besucher, die sich für Flora und Fauna interessieren, können den liebevoll angelegten Naturlehrpfaden mit Infotafeln folgen. Man kann nichts falsch machen, wenn man White Sands besucht. Im Gegenteil - der Punkt sollte ebenfalls Pflicht sein, sofern die Route durch den Süden New Mexicos führt.
Raketen, Radioteleskope und Raumschiffe - Weitere Optionen & Fazit
Für uns geht die Route nun wieder gen Westen. Schade eigentlich, denn New Mexico hat noch deutlich mehr zu bieten, als wir in den vier Tagen abdecken konnten, und so mussten wir einige Ziele links liegen lassen. Dazu gehört die White Sands Missile Range. Das Raketenversuchsgelände unweit des Nationalparks ist nicht nur in sich ein faszinierendes Ausflugsziel, sondern auch der Ort des ersten Atomwaffentests des Manhattan Projects - der Trinity Site. Ebenfalls besuchen wollten wir das Very Large Array, eine gigantische Radioteleskopanlage, mit der versucht wird, akustische Signale aus dem Weltraum aufzufangen. Beide waren jedoch pandemiebedingt bzw. wegen Umbaus für Besucher nicht zugänglich. Stattdessen genießen wir nach einer letzten Stärkung bei IHOP, wie auf dem Weg nach Westen die Landschaft an uns vorüberzieht.
Wenn man mehr Zeit in dem Bundesstaat verbringt, lohnt sich möglicherweise auch ein Ausflug nach Roswell. Bekanntermaßen ist hier 1947 möglicherweise ein Ufo abgestürzt. Dem Vorfall widmen sich etliche Museen, Conventions und urbane Mythen in der Region. Für Dramafreunde könnte auch ein Ausflug nach Albuquerque interessant sein. Der Drehort von "Breaking Bad" und dessen Prequel "Better Call Saul" ist bei Fans als Ausflugziel immer noch hochbliebt. Uwe und ich hatten 2013 das exklusive Vergnügen, das Serienfinale von Breaking Bad auf der VIP-Party in Albuquerque zu verflogen - inklusive vorheriger Tour zu den Locations.
Es gibt also deutlich mehr als weißen Sand, grelle Sterne und Lehmziegelhäuser. Auch wenn der Bundesstaat New Mexico im Regelfall nicht auf den vordersten Plätzen der Bucket List von USA-Reisenden steht, bereut man einen Aufenthalt nicht. Im Gegenteil, so ein bisschen hat uns das "Land of Enchantment" dann doch verzaubert. Die freundlichen Locals, die bewegte Geschichte, die einzigartige Natur und auch die leckere Küche haben unser Herz erobert. Zudem wird Santa Fe als lebensfrohe, offene und architektonisch eindrucksvolle Stadt im Gedächtnis bleiben. New Mexico wird so zu einem sehr runden Gesamtpaket, welches wir als Reisestation vorbehaltlos empfehlen können!